Wenn verborgene traumatische Verletzungen in Beziehungen wirken

Auslöser einer traumatischen Reaktion in einer Beziehung

Eine traumatische Reaktion in der Beziehung kann ausgelöst werden, wenn jemand, der traumatisiert ist,
  • auf eine Situation trifft, die Ähnlichkeiten mit der ursprünglichen Trauma-Situation hat. Die „empfundene Ähnlichkeit“ bedeutet noch nicht, dass die aktuelle Situation erneut traumatisierend ist, sondern dass Elemente des ursprünglich erfahrenen Traumas in dieser Situation wahrgenommen oder hineininterpretiert werden. 
  • in Empfindungen landet, die mit dem ursprünglichen Trauma einhergingen, wie Gefühle von Ohnmacht, Enge, Hilflosigkeit, Übergriffigkeit, Angst, Aggression oder Vernichtung.

Ist das ursprüngliche Trauma nicht gelöst, können solche Situationen ein erfahrenes Trauma reaktivieren. Die Erinnerung an das erlebte Trauma wird angestoßen und der Betroffene zeigt eine traumatische Reaktion.

Der Beginn der traumatischen Dynamik

Der Traumatisierte fällt aus dem gegenwärtigen Kontakt in ein Trauma-Erleben. Innerlich erscheint alles so wie in der ursprünglichen traumatisierenden Situation. Ähnliche Gedanken und Gefühle sowie damit einhergehende Körperempfindungen werden ausgelöst. Der Körper ist angespannt, oft sogar im Panikmodus. Das Trauma-Erleben flutet die Psyche und den Körper. Selten ist das traumatische Überfluten sofort dem Trauma zuzuordnen, wie konkrete Erinnerungen oder ein innerer Film über eine Trauma-Sequenz. Oftmals kommt es lediglich zu diffusen emotionalen und körperlichen Zuständen. Wurde ein Trauma aktiviert, überschattet dies die gegenwärtige Situation. Der Traumatisierte reagiert nicht mehr auf die jetzige Begegnung sondern auf die ursprüngliche „traumatische Begegnung“. Die Wahrnehmung wird von der traumatischen Erfahrung beherrscht. Nicht dazu passende Informationen oder Signale werden ausgeblendet. In solchen Momenten sehen Traumatisierte den anderen kaum mehr, sie nehmen den „bekannten Täter“ im anderen wahr. Jemand, der ihnen nichts Gutes will, vor dem sie sich schützen müssen. Sie selbst erleben sich als Opfer, das sich – wie in der ursprünglichen traumatischen Situation – nicht wehren kann und dem Geschehen ohnmächtig ausgeliefert ist.

In einer Beziehung mit einer traumatisierten Person gibt es Phasen, in denen die Trauma-Erfahrung nicht ausgelöst wird. Kein Trauma ist ständig aktiviert. In diesen Zeiträumen kann eine Beziehung durchaus nah sein. Wirkt die Trauma-Spur, wird die Wahrnehmung wie das Verhalten des Betroffenen vom ursprünglichen Trauma eingeschränkt. Die Person kann auf viele ihrer sonstigen Fähigkeiten und Ressourcen nicht mehr zurückgreifen.

Doch woran können Betroffene oder deren Partner/in erkennen, dass sie sich gerade in einer traumatischen Dynamik innerhalb ihrer Beziehung befinden? Für Traumatisierte ist dies oft schwer zu erkennen. Ihre Wahrnehmung, ihr Denken, Fühlen sowie Körperempfinden wird vom ursprünglichen traumatischen Erleben beeinflusst. Oft nehmen sie den Wechsel selbst nicht wahr. Für deren Partner (mit Partner ist immer der Partner des Traumatisierten gemeint) ist die traumatische Dynamik in der Beziehung ebenfalls nicht leicht zu erkennen. Vor allem wenn sie nichts vom Trauma wissen, der Betroffene vielleicht selbst nichts davon weiß. Dann kennen sie sich nicht aus, wissen nicht wie ihnen geschieht oder was gerade los ist.

Indikatoren dafür, dass gerade eine traumatische Dynamik in der Beziehung wirkt

In der Begegnung lassen sich durchaus Anzeichen finden, die auf eine traumatische Beziehungsgestaltung hinweisen:
  • Das Verhalten des Traumatisierten ist nicht nachvollziehbar. Der Partner bekommt mit, dass der andere in einer Form reagiert, die in keinem Verhältnis zu „dem, was gerade ist“ steht. Der Partner kann die Reaktion des Traumatisierten nicht nachvollziehen und spürt, dass er den anderen nicht mehr erreichen kann.
  • In der traumatischen Dynamik gibt es stets eine Opfer-Täter-Konstellation. Einer ist das Opfer, der andere der Täter. Üblicherweise fällt der Traumatisierte in die Opferhaltung, der Partner wird somit automatisch zum Täter. Obwohl sich der Partner meist hilflos dem Verhalten des Traumatisierten ausgeliefert fühlt, wird er in der Situation von diesem als Täter erlebt.
Die vorgegebene Opfer-Täter-Rollenvergabe schränkt die Handlungsmöglichkeiten auf beiden Seiten massiv ein. Beide reagieren mit Kampf, Aggression, Flucht oder Totstellen.

Kampf

  • Selten und meist nur zu Beginn der Beziehung lässt sich ein Kampfmodus beim Partner finden. Dieser kämpft um die gegenwärtige Begegnung, die jeweilige Wahrheit, den anderen, um die Beziehung. Üblicherweise wird der Kampf relativ rasch aufgegeben. Der Partner macht die Erfahrung, dass es in diesen Momenten völlig sinnlos ist, um die Beziehung, um den anderen zu kämpfen. Zu kämpfen ist nicht erfolgreich, sondern führt nur dazu, dass sich die zugeschriebene Position des Täters verfestigt.
  • Der Traumatisierte kämpft normalerweise nicht. Vor allem wenn das Trauma-Erleben ausgelöst wird, befindet er sich in einer ohnmächtigen Opferposition und fühlt sich dem Geschehen hilflos ausgeliefert. In Sequenzen, in denen sich der Traumatisierte jedoch in die Enge getrieben oder angegriffen fühlt, wird es für ihn existentiell bedrohlich und eine entsprechende Angst taucht in ihm auf. Dann kann der Traumatisierte schlagartig vom Opfer zum Täter werden und den Partner angreifen. Das Verhalten des Traumatisierten kann nun extrem verletzend werden. Der Traumatisierte kämpft nicht mehr darum, in der Situation Recht zu behalten oder den Streit zu gewinnen, er kämpft ums psychische Überleben. Im gefühlten Überlebenskampf fallen viele Hemmungen weg. 

Aggression

  • Der Partner wird wütend auf das Verhalten des Traumatisierten, darauf, dass sich solche Situationen wiederholen und nicht veränderbar sind. Die Wut oder Aggression ist nicht primär als feindlich anzusehen, obwohl sie vom Traumatisierten so erlebt wird. In ihrer Aggression wollen die Partner eigentlich Beziehung. Sie spüren, dass der andere nicht mehr in Kontakt mit ihnen ist und wollen ihn noch irgendwie erreichen, zumindest irgendeine Reaktion erzwingen. Schlussendlich wird die Wut häufig aufgegeben. In der Wut erlebt sich der Partner aktiv als Täter – der auf den Traumatisierten, der sich beispielsweise windet oder wie ein verprügelter Hund zu ihm aufsieht, auch noch „verbal“ einprügelt und die Situation dadurch verschlimmert.
  • Der Traumatisierte zeigt in seinem Beziehungsverhalten – den Verbalattacken, dem ablehnenden Verhalten oder Fluchtimpulsen – durchaus ein ziemliches Ausmaß an Aggression, erlebt dies jedoch selbst in der Situation nicht als Aggression. Wird die Trauma-Erfahrung reaktiviert, ist alles innerlich in Aufruhr und der Traumatisierte versucht nur noch, sich in der Situation zu schützen und zu retten. Sein zeitweise doch sehr aggressives Verhalten wird vom Traumatisierten weniger als Aggression sondern als notwendiger Schutz vor einer existentiellen Bedrohung erlebt.

Fluchtimpulse

  • In der traumatischen Dynamik wird die Beziehung als extrem verletzend und schmerzhaft erlebt. Fluchtimpulse werden ausgelöst, der Partner möchte diesen Gefühlen entkommen, der Situation entfliehen. Oft gehen Fluchtimpulse mit einem – zumindest angedachten – Beziehungsabbruch einher.
  • Der Traumatisierte zeigt meist intensive Fluchtimpulse und möchte der Beziehung, dem Partner, dem Leben mit all seinen Schwierigkeiten entfliehen. Häufig finden konkrete Beziehungsabbrüche statt. Der Traumatisierte droht mit dem Verlassen oder geht und meldet sich nicht mehr.

In den Opferstatus fallen - Totstellen, Erstarren und Aushalten

  • Üblicherweise ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Partner in einem Opferstatus landet. Die traumatische Dynamik wiederholt sich und damit wiederholen sich auch solche Situationen. Auch wenn der Partner anfangs bemüht ist, um die Beziehung kämpft und alles tut, um keinen Auslöser für diese Dynamik zu bieten, irgendwann ist jeder von den sich wiederholenden existenziellen Beziehungskämpfen erschöpft. Die Beziehungserschöpfung führt in einen Opferstatus. Im Opfermodus kommt der Partner in jene Position, in welcher sich der Traumatisierte „damals, als das Trauma geschah“ befunden hat.

Opfer in der Beziehung zu sein, ist gekennzeichnet durch:

- Aushalten. Das, was gerade ist, aushalten und über sich ergehen lassen.
- Verletzungen wiederholen sich, ohne dass man sich davor schützen kann.
- Sich hilflos dieser Dynamik gegenüber erleben, sich ohnmächtig und dem Geschehen ausgeliefert fühlen.
- Ratlos sein, nicht mehr wissen, was man noch tun kann, wie man die Situation mitgestalten oder verändern könnte.
- Es gibt lediglich die Möglichkeit abzuwarten, bis die Situation vorübergeht.
  • Der Traumatisierte erlebt sich in solchen Situationen selbst in so einem Opferstatus und bemerkt nicht, dass er es ist, der gerade die Beziehung in dieser Form gestaltet.

Die ständige Wiederholung

So wie sich das Traumageschehen im Traumatisierten wiederholt, wiederholt sich auch die traumatische Dynamik in der Partnerschaft. Der Partner erfährt, wie er/sie gnadenlos scheitert. Egal was er macht, die traumatische Wiederholung in der Beziehung ist nicht zu durchbrechen. Hierin gründet schlussendlich die Opferhaltung. Alle Versuche etwas zu verändern, scheitern, so bleibt nur noch ein Aushalten und die Sache über sich ergehen lassen.

Der Partner versucht keine traumatische Dynamik auszulösen

Häufig fühlen sich die Partner verantwortlich für das Ausagieren des Traumatisierten, oft wird ihnen sogar die Schuld dafür gegeben. Viele versuchen sich so zu verhalten, dass sie diese Dynamik umgehen und nicht auslösen. Dies ist ein ziemlich erfolgloses Unterfangen. Bereits Kleinigkeiten oder äußere Umstände können Gefühle auslösen, die den Betroffenen in die traumatische Spur werfen. Existiert eine traumatische Dynamik in der Beziehung, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie das nächste Mal ausgelöst wird.

Wenn der Traumatisierte zum Täter im Beziehungsgeschehen wird

Entkommt der Betroffene seiner Trauma-Erinnerung, fällt er häufig auch aus der Opferrolle. Wird dem Traumatisierten dann bewusst, wie er sich gegenüber dem Partner verhalten hat, wie er den Partner mit seinem Verhalten verletzt hat, katapultiert ihn dies häufig in eine Täterposition.
So wie sie nur schwer dem Opferdasein entkommen, entkommen sie auch nur schwer der Täterrolle.  Die eigene Täterschaft wiegt dermaßen schwer, dass sie oft keinen Ausweg finden. Daher schaffen sie es häufig nicht, sich beim Partner zu entschuldigen oder ein reparierendes Verhalten in der Beziehung zu zeigen. Damit wiederholen sie in der aktuellen Beziehung ihre traumatische Beziehungserfahrung. Es kommt zu einer zwischenmenschlichen Verletzung. Der Verantwortliche oder Täter übernimmt aber keine Verantwortung dafür. Es erfolgt keine Wiedergutmachung oder Beziehungsreparatur.  So wie es dem Traumatisierten damals erging, ergeht es nun dem Partner: Der Verletzte bleibt mit seiner Verletzung allein, ungesehen, wird weder getröstet noch versorgt. Wirkt eine traumatische Dynamik in der Beziehung, entstehen Verletzungen, die nicht heilen können. 

Der gedrohte Beziehungsabbruch

Oftmals wird die Verletzung in der Beziehung vom Traumatisierten sogar noch verschlimmert. Nimmt der Traumatisierte wahr, wie sehr er den Partner/die Partnerin verletzt hat, fühlt er sich ziemlich schlecht. In Phasen, wo das Trauma nicht aktiv ist, erkennen Traumatisierte ihr Mitwirken sehr wohl und meinen, dem andere würde es besser gehen ohne sie. Nachdem sie erkennen, dass sie selbst die Dynamik nicht verändern können, erscheint ein Beziehungsabbruch die einzige Lösung zu sein.
Neben der Verletzung droht dem Partner dann auch noch ein Verlassen-werden, also eine weitere und neuerliche Verletzung.

Erkennen hilft in der traumatischen Dynamik anfangs nur wenig

Die traumatische Dynamik wiederholt sich in den Beziehungen. Der Traumatisierte würde sich durchaus wünschen, dass sich so ein Verhalten nicht erneut zeigt, scheitert aber mit seinen Bemühungen.
Auch wenn ein Erkennen bzw. eine Einsicht stattgefunden hat, bedeutet dies noch nicht, dass er die traumatische Spur verlassen kann. Solange sich jemand nicht im Trauma-Erleben befindet, hat er sein volles Verhaltensspektrum zur Verfügung. Sobald jemand jedoch im Trauma-Erleben landet, ist seine Wahrnehmung, sein Empfinden sowie sein Verhalten eingeschränkt. Das Erkannte und seine Versprechungen, sich zu ändern, sind wie weggeblasen, jegliches Wissen vergessen. Erneut überschattet die traumatische Erfahrung alles Weitere. Erkennen ist der erste Schritt zur Veränderung. Doch nach dem Erkennen beginnen erst die kleinen Schritte der tatsächlichen Veränderung. Es braucht ein Erlernen von Selbstberuhigungstechniken, ein Erwerben eines Realitätskontaktes, ein Umlernen des bisherigen Verhalten, ein anderes Reagieren auf die eigenen Gefühle und Gedankenmuster. Der Weg aus der Trauma-Erfahrung braucht einige Zeit.

Distanzierte Kälte

Sein Verhalten nicht verändern zu können, immer wieder dieselbe Erfahrung zu machen, den Menschen, den man eigentlich liebt, zutiefst zu verletzen, all dies bringt den Traumatisierten durchaus in eine tiefe Verzweiflung.
Nur selten wird diese Verzweiflung für den Partner sichtbar. Die meisten Traumatisierten haben gelernt, ihre Verzweiflung, so wie andere – meist negative – Gefühle, zu verbergen. Diese werden hinter einer distanzierten Kälte versteckt. Obwohl das Geschehen den Traumatisierten nicht kalt lässt, wirkt es auf den Partner genau so. Der Partner sieht nicht die verborgenen Gefühle, sondern bekommt nur die distanzierte Kälte zu spüren. Somit erlebt der Partner nicht nur die Verletzung in der Beziehung, sondern auch noch eine große emotionale Distanz und scheinbare Gleichgültigkeit von Seiten des Traumatisierten.

Wiederholt sich die traumatische Dynamik, kommt es zu einer Beziehungstraumatisierung des Partners

Nachdem sich das Trauma in Beziehungen wiederholt, erlebt der Partner, wie er selbst zunehmend in ein traumatisches Beziehungsgeschehen hineingezogen wird. Im Grunde wird der Partner ebenfalls auf der Beziehungsebene traumatisiert. Wird ein Trauma nicht aufgelöst, wirkt es durch die traumatische Beziehungsgestaltung höchst ansteckend in der Beziehung. Nun wird der Partner zum Opfer des traumatischen Geschehens, welches reinszeniert und an ihm ausgetragen wird.

Eine traumatische Beziehungsgestaltung hat immense Auswirkungen. Für beide ist es fast unmöglich, den daraus resultierenden Beziehungsverletzungen zu entkommen. Ist die ursprüngliche Traumatisierung in einer Beziehung passiert, braucht es die Erfahrung einer heilsamen Beziehung, um die traumatische Beziehungserfahrung zu integrieren und aufzulösen. Das kann ein Partner, der emotional involviert und selbst immer wieder von der traumatischen Dynamik unmittelbar betroffen ist, nicht leisten. Die traumatische Dynamik braucht eine therapeutische Beziehung und begleitende Unterstützung um diese zu verstehen, zu bearbeiten, aufzulockern und im günstigsten Fall zu lösen.


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©  Mag. Brigitte Fuchs