Ein Interview, erschienen in der Ganzen Woche , Ausgabe 04.03.2015, Nr. 10

Wir „raunzen“ uns durch den Tag

Sei es das kaputte Auto oder der ungerechte Chef, Menschen beklagen sich einfach gern. Sie „jammern“. An und für sich ist das nichts Schlimmes, meinen Experten. Solange das Raunzen auch ein Ende hat. Gefährlich wird die „Suderei“ erst, wenn sie nicht mehr aufhört. Denn dann können Betroffene in eine Depression schlittern.

„Nicht  schon wieder Regen“; seufzt Adisa Mahmutovic aus Villach (K). Die 32jährige kann „nasses“ Wetter nicht ausstehen. Ganz anders ist das bei Peter Zeiler, 56. „Ich mag Regen. Aber die Hitze ist mir ein Graus, wenn es im Sommer mehr als 30 Grad hat, gehe ich gar nicht erst vor die Tür“, jammert der Wiener.

Ob Wetter, Politik oder das liebe Geld, „Gründe zum Jammern finden wird immer“, sagt die Autorin Margit Hertlein in ihrem Buch „Raus aus dem Jammersumpf“ (Verlag Ariston). Schließlich fänden wir alle ein klein wenig Gefallen an der „Suderei“, meint Hertlein. „Und ganz besonders die Österreicher“, schmunzelt die Tiroler Psychologin Mag. Brigitte Fuchs und erklärt: „Das Jammern passt irgendwie zu unserer Grundmentalität, es zeichnet Menschen aus, die eher pessimistisch veranlagt sind, die es gewohnt sind, nicht die volle Verantwortung für sich zu übernehmen. Bedenken wir, wie lange wir einen Kaiser hatten, der über das Volk bestimmte. Und vor allem betrifft es Menschen, die im Grunde ein komfortables Leben führen.“ Denn Menschen in Not jammern selten.

„In schweren Zeiten geraten wir in einen psychischen Notfallmodus und müssen funktionieren. Wir benötigen unsere ganze Kraft fürs bloße Überleben“, sagt Fuchs. Das ist Energie, die ein Jammerer nicht zur Verfügung hat. Denn anstatt die Kraft darauf zu verwenden, die Situation zu verändern, wird sie ins Jammern investiert. „Raunzen“ sei deshalb im Grunde genommen nichts weiter als „Energieverschwendung“ bringt es Hertlein auf den Punkt. Kurzfristig helfe Jammern wohl, es reduziere Stress, meint sie. Langfristig aber bringe Raunzen rein gar nichts. Auch keine Lösung. Was zumeist auch gar nicht erwünscht sei, meint Fuchs. „Menschen, die jammern, wollen oft gar keine Veränderung, sondern Aufmerksamkeit und Mitleid, oder sie jammern, um „dazu-zugehören“, frei nach dem Motto, jeder jammert über die Arbeit“, erklärt Fuchs. Im Grunde genommen verhalte sich ein Nörgler „wie ein kleines Kind oder ein Opfer, das keine Verantwortung für sein Leben übernehmen will“, sagt Fuchs. Und weil der Raunzer nach keiner Lösung sucht, kann ihm auch kaum geholfen werden. Eine Patt-Situation, die weder den Betroffenen noch die Zuhörer befriedigt. Kurzzeitig helfe es wohl, sich „auszutoben, auf lange Frist schadet es aber mehr“, sagt Fuchs.

Vor allem dann, wenn die Jammerei nicht mehr aufhört. Durch die ständige Nörgelei sehen wir alles nur noch negativ. Die Schwarzmalerei beginnt schon in der Früh. Das Wetter ist mies, der Kaffe ist zu kalt, die Schuhe drücken, die Frau nervt, die ganze Welt hat sich plötzlich gegen einen verschworen. „Die Menschen im Jammersumpf halten sich für zu kurz gekommen“, sagt Hertlein. Ein Teufelskreis, der sogar krank machen kann.  „Gewöhnen wir uns das Jammern als Hauptstrategie an, dann werden mit der Zeit immer negativer, bis wir depressiv werden“, sagt die Tiroler Psychologin.

Um aus dem „Jammersumpf“ zu kommen, hilft es zunächst einmal schon einen festen Zeitplan für erlaubtes Jammern festzulegen. Aber stets im Bewusstsein, dass das Jammern nichts ändert, meint die Expertin, deshalb sollte auch eine Problemlösung erarbeitet werden.
Wichtig ist auch Unveränderliches auf sich beruhen zu lassen. Was gestern war, ist vorbei, ein „was wäre wenn, hätte ich doch“ bringt nichts. Stattdessen sollte Positives in den Vordergrund rücken. Fuchs rät zur Selbstironie: „Haben wir das Gefühl, nicht aus dem Jammern herauszukommen, nützt es manchmal, dieses destruktive Verhalten so maßlos zu übersteigern, bis wir uns dessen gewahr werden, dass es sinnlos ist, was wir da tun.“